Im Dezember 2020 wird sich der Tag von Ludwig van Beethovens Geburt zum 250. Mal jähren. Seine Musik verzaubert die Menschen weltweit. Seine berühmte 9. Sinfonie elektrisiert die Menschen geradezu, sonst hätten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften nicht das Hauptthema des letzten Satzes (mit der Textpassage „Freude, schöner Götterfunken” von Friedrich Schiller) als Europa-Hymne auserkoren.
Das Medium Buch kann eine Melodie nicht wiedergeben, wohl aber die Umstände der Entstehung sowie die Motive, die ihr zugrunde liegen, beschreiben. Das aber ist schon eine ganze Menge. Die Leistung des Autors eines solchen Buches ist es, dieses immaterielle Welterbe, das eigentlich Erwachsenen zugedacht war, auf Kinderniveau herunterzuschrauben.
Und siehe da, die Geschichte um die Entstehung dieser Sinfonie enthält genug Dramatik für eine spannende Geschichte. Beethoven, der wie Schiller ein glühender Liebhaber des Freiheitsgedankens der Französischen Revolution war, wollte mit diesem Werk etwas fundamental Neues anstimmen. Auch optisch sollte das Neue zu bemerken sein, deshalb wagte er es, der Sinfonie einen Chor sowie Solisten-Sänger dazuzugeben. Um ein Haar wäre dieses großartige Werk in einem Schwarzen Loch der Geschichte verschwunden, hätte nicht Beethovens Neffe Karl mit ungeheurer Willenskraft die Erstaufführung durchgeboxt.
Der Höhepunkt an Dramatik blieb der Premiere im Kärntnertortheater in Wien vorbehalten, als Beethoven, der zu diesem Zeitpunkt bereits gänzlich taub war, am Ende umgedreht werden musste, um das stürmisch jubelnde Publikum zu sehen.
Rudolf Herfurtner, der Autor, schuf mit großer Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl dieses Buch, das letztlich auch eine Teil-Biographie Beethovens geworden ist.Die in sanften, zurückhaltenden Pastelltönen gehaltenen Illustrationen stellen auf optische Weise das Leben des beginnenden 19. Jahrhunderts informationsreich dar. Mit Begleit-CD.
Horace Bénédict de Saussure war ein Genfer Naturforscher, der sich für Meteorologie, Mineralogie, Magnetismus, Elektrizität und schließlich für Glaziologie und Geologie interessierte. Weiß man das alles, so kann man auch verstehen, dass er für das Jahr 1787 zu der ersten wissenschaftliche Besteigung des Mont Blanc aufrief. Immerhin hatte man diesen Berg, der höchste Europas immerhin, gerade mal ein Jahr zuvor per Erstbesteigung bezwungen. Als heller Kopf, wie Horace Bénédict de Saussure einer war, unternahm er diese Tour, verständlicherweise kein Spaß-Spaziergang, inmitten einer Gruppe von Spezialisten, 18 an der Zahl, sowie mit seinem tapferen Hund. Niemand wird bestreiten, dass den Teilnehmern einerseits Abenteuer pur geboten war,die Bergwelt andererseits deren Sinnen ein Hochfest beschert hat.
Pierre Zenzius hat versucht, aus diesem Material ein Kinderbuch zu erstellen. Er entschied sich nicht für einen ermüdenden, textlastigen Schmöker, sondern für eine Bild-Erzählung. Was daraus geworden ist, raubt einem den Atem: eine Überschwang an Schönheit. Er ließ der Natur ihre Größe, ihre Kraft, ihren Zauber. Der Mensch fällt im Gegensatz dazu zwangsweise eher klein, schwach, auch ein bisschen ungeschickt aus. Ja, aber auch mutig, verwegen, neugierig. Klar! Hierzu reichen ihm aber auch Strichmännchen-Figuren, die sich im Anblick der majestätischen Natur eher umständlich und tollpatschig anstellen. Zum Glück für die Kinder, die sich dieses Buch ja ansehen und herzhaft lachen sollen. Und das können sie zur Genüge. Letztlich über sich selbst als Teil der Menschheit.
Ein ehrliches Buch, das dem Lachen Demut beifügt. Damit wird die heitere Grundstimmung nicht zerstört, sie wird nur in Beziehung zu Macht und Ästhetik der Natur gesetzt.
Wir dürfen davon ausgehen, dass Horace Bénédict de Saussure sich dieser divergierender Akteure bewusst war. Er hätte Freude an diesem Expeditionsbericht gehabt.
Greta Thunberg, der cleveren Umweltschutzikone aus Schweden, sei Dank. Ihr konsequenter Einsatz für eine bessere Welt schlägt sich im Jahr 2020 sichtbar auf die Produktion von Sachbüchern nieder. Mit Masse versucht die Branche, den Planeten zu retten. Kein junger Mensch soll der Umarmung entkommen, für jede Altersstufe ist etwas dabei.
In der Regel geschieht das im pädagogisch gut gemeinten Dreierschritt: Gruselige Forschungsergebnisse – kindlich witzige Darstellung – Aufforderung zum Selbsttun.
Am Ende mangelt es dem versuchten Gesamtkunstwerk freilich bisweilen an Leichtigkeit und psychologisch richtig getaktetem Feingefühl. Werden den Kindern die knallharten Fakten mit übertriebener Inbrunst und übergroßer Dichte an den Kopf geworfen, reagieren diese möglicherweise mit Schnappatmung und Übelkeit – und legen das Buch schnell wieder zur Seite.
Zum Glück finden sich aber auch Bücher, die das besser machen: Neal Layton’s “Für eine Umwelt ohne Plastik” zum Beispiel, der die die 8-10 Jährigen anspricht. Dieser Autor und Illustrator nimmt die Kinder mit Entspanntheit und wohltuender Bedächtigkeit an die Hand, lässt sie mit wenig Text und vielen Bildern, Wimmelbildszenarios gleich, herausfinden, was Plastik eigentlich ist, wo es herkommt, was in unserer Umwelt alles bereits aus Plastik ist. Mit dem Gespür eines begnadeten Lehrers lenkt er die Gedanken sodann auf das Zuviel an Plastik und das Problem mit der biologischen Abbaubarkeit. Alles endet schließlich im Meer, deren Weite beeindruckend schrumpft, wenn Müllstrudel die klare Wasserfläche verkleinern, der mächtigste davon in der Größe von 4 mal Deutschland.
Neal Layton, der Lehrer mit Herz, lässt die Kinder am Ende klugerweise nicht im dystopischen Chaos stehen. Neben ein paar unvermeidlich praktischen Tipps im Alltag öffnet er ihnen die Augen für die Ideenwelt unserer Wissenschaftler und Ingenieure, die an diesen Problemen bereits erfolgversprechend arbeiten. Noch Zukunft? Aber ja, es gibt sie.
Die Buchbesprechung erschien in der Passauer Neuen Presse vom 18. Mai 2020.
Pflegeheim und eine Sekundarklasse von heute, Demenz und laxer, schnörkelloser Jugendjargon. Wo ist da die geistige Brücke? Kann man aus so einen Plot einen schicken Jugendroman basteln? Man kann, dieses Buch ist der Beweis: ausgesprochen unterhaltsam, witzig und mit Tiefgang. Ein Zufall?
Keineswegs. Stepha Quitterer, die Autorin, kann auf einen mächtigen Vorläufer verweisen: auf Nicky Singers “Norbert Nobody oder das Versprechen” (USA, 2002). Zeitgleich mit “Weltverbessern für Anfänger” erschien ein weiterer Jugendroman zu selbigem Grundthema: “Irgendwo ist immer Süden” von Marianne Kaurin (Norwegen). Allesamt sind sie Leuchttürme ihres Genres: Bücher, die sehr überzeugend die Begegnung zweier Extreme als Win-Win-Deal für beide darstellen.
Stepha Quitterer übertrifft jedoch die oben genannten Bücher an schnoddriger und flapsiger Jugendsprache. Ihre Kreativität schießt impulsiv ein Wort-Feuerwerk um das andere ab. Man kann ihr geradezu beim Erfinden neuer Wörter zusehen.
Dank des gut betuchten Geschäftsmannes Kanauer ist Minnas Schule in der Lage, jedes Jahr einen Wettbewerb auszuloben. Der Attraktivität des Hauptpreis können sich die Schüler nicht entziehen, sie beteiligen sich mit Begeisterung. Dieses Jahr darf sich die Siegerklasse auf eine Klassenfahrt nach Tallinn freuen. Kanauers Thema heißt “Weltverbessern für Anfänger”. Darunter lässt sich eine Unmenge verstehen. Dass Minnas Klasse, die 8b, als besonders schwierige Klasse wegen einer Reihe von zur Hysterie neigenden Egoisten, unangenehmen Cliquen, Wichtigtuern mit rechthaberischem Getöse gilt, macht die Sache nicht leichter.
Beharrlich, agil und diplomatisch versucht Minna, die eine einschneidende Erfahrung gemacht hat, als sie kürzlich ihre Oma im Pflegeheim besuchte, ihre Mitschüler zu bewegen, “Weltverbessern” als “konsequentes Besuchen von alten Menschen in einer solchen Einrichtung” zu verstehen.
Minnas Aufgabe erweist sich alles andere als leicht. Und doch gelingt es ihr, Schritt für Schritt jeden Einzelnen ihrer Klasse mitzunehmen. Eine umso größere Leistung, als die Erfahrungen im Heim selbst weiß Gott nicht immer nur angenehm sind. Aber irgendwie finden ihre Mitschüler so nach und nach Gefallen an diesen Besuchen.
Nicht nur das, das eigentliche Wunder findet innerhalb der Klassengemeinschaft statt. In der anfangs heillos zerstrittenen Gruppe findet – o Wunder! – ein gruppendynamischer Wandel zum Positiven statt. Man sieht auf einmal die Qualitäten des anderen und entdeckt den Wert des Miteinanders.
Gerade diese Erkenntnis, zu der Stepha Quitterer ihre jungen Leser führt, macht den eigentlichen Wert dieses Buches aus. Die konkrete Aktion geht einher mit einer geistigen Entwicklung. Das dauert, es gibt Rückschläge und Enttäuschungen, aber es geht beharrlich vorwärts, die Richtung ist angezeigt. Da können noch so viele Scherze, Kalauer und Witze links und rechts davon gemacht werden, das Ziel steht allen bald klar vor Augen. Okay, die kostenlose Klassenfahrt spielt auch eine Rolle, aber die Einsicht, dass ihr Einsatz bei den alten Menschen unendlich sinnvoll ist, wächst stetig. Dass am Ende die Reise nach Tallinn gewonnen wird, wird als schön empfunden, aber so ganz entscheidend ist sie nicht mehr.
Stepha Quitterer verschafft sich mit diesem Erstlingswerk einen erstaunlich kräftigen Eintritt in die Phalanx der deutschen Kinder- und Jugendschriftsteller. Sie hat Sprache, Eigenheiten und Gefühlswelten der heutigen Jugendlichen sicher im Blick, bleibt dabei aber nicht stehen, sondern zeigt Wege der Orientierung auf.
Die Autorin steht erst am Anfang ihrer Karriere. Man traut ihr gerne zu, dass sie bei ihrem nächsten Buch Kleinigkeiten verändert, wie die manchmal überlangen Sätze, die zu häufigen neuen Wortschöpfungen, die zu vielen Metaphern und Eigenschaftswörter, vielleicht auch so manchen Ausdruck aus dem Bereich der Fäkalsprache oder – was den Umfang des Buches betrifft – sich kürzer fasst.
Wir wünschen der niederbayerischen Autorin alles Gute für die Zukunft. Geschick und Können hat sie mit diesem Buch bewiesen, das Glück steht ihr hoffentlich bei.
Die Buchbesprechung erschien in der Passauer Neuen Presse vom 18. Mai 2020.