Der Titel provoziert, aber er ist gut. Er fällt auf und macht neugierig, so soll es sein. Angesprochen dürften sich insbesondere Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren fühlen. Dass dieses Klientel aber in der Mehrheit nicht buchsüchtig ist, weiß Yvonne Struck, die Autorin, auch. Als Lockmittel reicht der Titel allein nicht, deshalb auch nicht so eng beschriebene Seiten, die empfindlich-zarte, von der Pubertät geplagte Jugendliche schockieren könnten, sondern ein Textformat, das ihres ist, das Twitter-Format: kurz, knapp, Schluss. Früher hätte man so etwas dem Tagebuch zugeeignet, doch hier handelt es sich lediglich um Gedanken des Augenblicks, keine niedergeschrieben Einsichten am Abend. Yvonne Strucks dritte Methode, sich dem zugegeben schwierigen Alter zu nähern, ist die Sprache. Bildungsbürger mögen die Nase rümpfen, doch für sie ist dieses Buch ja nicht gedacht. Die Jugendsprache ist nun mal anders: direkter, unverblümter, offener, witziger, aber auch grober, rücksichtsloser. Dürfen gedruckte Texte auf dem Niveau der gesprochenen Sprache sein? Auch Mark Twain hatte schon seine Not damit. Als sein “Tom Sawyer” herauskam, wurde er gleich wieder verboten: wegen der darin vorkommenden “Kraftausdrücken”. “Jungs sind Idioten. Mädchen auch.” ist anders. Hier geht es um eine Freundschafts- oder Liebesbeziehung unter Teenies, in der sowohl die körperliche Annäherung als auch die Wellenbewegungen im Gehirn nicht ausgespart werden. Und was sich im Denken abspielt, wird auch á la Twitter gesagt. Die Geschichte muss deswegen nicht schlechter sein, sie ist direkter.
Ein vierter Kniff aus der Trickkiste rundet das Ganze ab. Da der strukturelle Aufbau der Geschichte die Leser nicht überfordern soll, geht es ohne Umschweife gleich zur Sache und bleibt konsequent dabei. Größere Passagen des Nachdenkens und des philosophischen Grübelns fehlen, Nebenschauplätze und umfangreiche Verästelungen würden unnötig Komplikationen hervorrufen. Auch hier eine Verneigung vor Twitter und Co.
Yvonne Struck’s Plan jedoch geht auf. Das Buch liest sich flott und locker-leicht. Es motiviert und hält munter. An ein Aufhören mitten im Lesen ist hier nicht zu denken, da will man durch, finden sich Laura und Finn am Ende wirklich? Natürlich läuft bei den beiden nicht alles in Perfektion, eine solche Liebesgeschichte wäre auch zu öde. Laura und Finn mögen sich von Anfang an, flattern flugs in Wolke sieben hoch, ihre anfängliche emotional-seelische Vorsicht, typisch für die Pubertät, bremst jedoch. Yvonne Struck versteht es durchaus, die Zerbrechlichkeit und aufkeimende Zuneigung zart und feinfühlig in wunderschönen, zeitgemäßen Worten zu fassen. So denkt/sagt Finn einmal: “Zong! Ihre Augen in meinen. Wie vom Laster angefahren, nur in Schön. So fühlt es sich an.” Wer so jung ist, der darf auch Fehler machen. Und Laura und Finn zeigen sich da nicht anders als alle anderen. Kaum fangen die ersten Schmetterlinge in ihnen zu tanzen an, rennen sie zu ihren jeweiligen Kumpeln und plappern davon – in der Hoffnung auf die besten Tipps. Ja, sie erhalten Tipps, allerdings in anderer Art als gewünscht. Ein weiteres Problem tut sich auf, als Lara von Daniel die Einladung erhält, der Schulband beizutreten. Diese nimmt sie, die begeisterte Gitarrenspielerin, mit Freude an, stößt damit aber Finn in traumatische Zustände. Für ihn ist Daniel partout nur darauf aus, sich Lara zu schnappen. Die Freundschaft Lara-Finn gerät ins Schlingern, ihre Kumpels sind zur Hilfestellung nicht in der Lage – oder wollen ganz einfach nicht. Diesen Spannungshöhepunkt löst die Autorin mit einer fast schon brachialen Aktion: Daniel ist schwul, sickert allmählich durch. Im Gegensatz dazu klingt das Buch mit einer romantisch-bezaubernden Inszenierung von Lara aus. Am Ende sitzt der leidende Finn wieder in Wolke sieben – fester als er es je war.
Kommentar zu dieser Rezension von der Autorin (vom 9. Februar 2021):
Sehr geehrter Herr Hoffmann,
mit großer Freude habe ich Ihre Besprechung von „Jungs sind Idioten. Mädchen auch.“ in der Neuen Passauer Presse gelesen.
Das Buch ist ja nun schon zwei Jahre auf dem Markt, aber eine so treffende Analyse habe ich noch in keiner Rezension entdecken dürfen.
Ich kann bestätigen: Sowohl das Naserümpfen einiger Bildungsbürger als auch die Begeisterung von (normalerweise) lesefaulen Jugendlichen und ihren Eltern ist mir aus zahlreichen Rezensionen und Nachrichten sehr wohl bekannt.
(Letztere sind zum Glück klar in der Überzahl.)
Kurz gesagt: Danke für Ihre detaillierte und wunderbare Rezension!
Herzliche Grüße,
Yvonne Struck