Peter Wohllebens Lockruf an die Kinder

“Kommst du mit nach draußen?: Eine Entdeckungsreise durch Garten und Stadt”
Autor Peter Wohlleben
Oetinger Verlag
ISBN: 9783789121333

Keiner sorgt sich – so scheint es – mehr um den Wald, die Seelen-Landschaft der Deutschen, keiner sieht den Wald emotionaler, keiner bringt mehr neue Wald-Forschungsergebnisse den Menschen näher als Peter Wohlleben. 

Nach der Veröffentlichung des geheimen Baumlebens mit Wurzelinternet und Duft-Info-System nun also das naturferne Kindsein heute. Einmal mehr trifft er einen Nerv unserer Gesellschaft. Nur auf Mängel zu verweisen ist jedoch nicht seine Absicht. Er holt die Kinder ab, führt sie vors Haus – und damit ins Abenteuer.

 

Er fängt bei der Hauswand an und bittet sie, zu sehen, zu hören und zu riechen. Die Ritzen zwischen Wand und Dach gehören den Fledermäusen. Hier hängen sie und schlafen. Es sei denn, oben am Haus finden sich Öffnungen. So etwas empfinden die Flattertiere als Einladung zur Tagesruhe. Vielfältiger und größer an Zahl sind Spinnen, Käfer und Wespen als Ritzen- und Spaltenbewohner. Noch besser finden sich Algen zurecht, die sich ganz einfach an die Hauswand kleben. Tesafilm hält bei weitem nicht so gut.   

Die Natur wird mit jedem Schritt zu einem aufregenden Forschungslabor. Überall findet sich Leben. Selbst im Abwasser weist der Autor angepasste Tier- und Pflanzen-Überlebenskünstler nach. Spannend auch, wie kleine Tiere sich mit klugen Farben-Tricks das Überleben sichern oder wie Löwenzahn und Breitwegerich es schaffen, sich in Pflasterfugen wohl zu fühlen. Überlebenskunst schließt das richtige Verteidigungskonzept mit ein. Dazu wissen auch die Brennnesseln, noch mehr der Eisenhut. 

Entdeckendes Kennenlernen ist das eine, eigenständiges Tun das andere. Wer ein stabiles Schiffchen aus Rinde gebaut hat, das seinen Wassertest bestanden hat, weiß um die Freude, die die Natur zu geben vermag. 

Dieses Buch ist ein gigantischer Ideen- und Wissensfundus, zu dessen Anwendung die Natur rund um Haus und Wohnung genügt. So vielfältig, so einfach, so viele Glücksgefühle spendend. Zum Glück vermittelt der Weltverbesserer und Natur-Missionar Peter Wohlleben sein Wissen unterhaltsam, hochinteressant und anregend. 

Lesealter: 7-11 Jahre

Fernando Magellan: der Mann, der Gewürze suchte und die Kugelform der Erde bewies

Fernando Magellan: – einmal um die ganze Welt (Reihe: Kinder entdecken berühmte Leute)
von: Christine Schulz-Reiss (Autor), Klaus Ensikat (Illustrator)
Kindermann Verlag
ISBN: 9783934029798

Zum 500. Todestag des großen Seefahrers und Entdeckers 

Das späte 15. sowie das frühe 16. Jahrhundert muss eine spannende Zeit gewesen sein. 

Die Menschheit erschloss sich gerade Stück um Stück den Planeten – mit atemberaubenden Ergebnissen. Die Kugelform der Erde war zwar den Gebildeten bekannt, doch der “körperliche” Beweis fehlte. Genau die Stimmungslage für zupackende, smarte Typen wie Fernando Magellan. Ironie der Geschichte: Dieser Mann hatte partout diese Beweisführung nicht im Sinne. 

Das Verlangen nach feinen Gewürzen wuchs unaufhaltsam und Portugal, die ambitionierte Seefahrernation, sah sich prädestiniert, am lukrativen Handel beteiligt zu sein. So führten Magellans erste Reisen nach Indien und Malakka, dem damaligen Handelszentrum auf der malaiischen Halbinsel. Sieben harte, aber erfolgreiche Lern-Jahre für Magellan.

Den Top-Job seiner Karriere bot ihm jedoch der spanische König Carlos I. an. Als Generalkapitän einer Flotte von fünf Schiffen sollte er 1519 eine westliche Route zu den Molukkeninseln (bei Papua-Neuguinea) finden. Als die einfachen Matrosen von den abenteuerlichen Plänen erfuhren, fiel ihr Blick bereits auf die Küste Brasiliens. Gereizte Stimmung auch wegen der Überwinterung im kalten Patagonien. Auf dem Pazifik ließ der Wind, der die Segel füllen sollte, auf sich warten. Das Trinkwasser war bald eine brackige Brühe, der Schiffszwieback voller Maden und Würmern. Und der Skorbut forderte seinen Tribut.         

Dann aber tauchten Inseln auf. Und als Magellans Diener, ein Malaie, seine Muttersprache vernahm, regte sich Hoffnung. Das Sehnsuchtsziel – war greifbar nahe – und Magellan auf dem Zenit seines Ruhms. Doch Lapu-Lapu, Häuptling der kleinen Insel Mactan, weigerte sich, die Herrschaft des spanischen Königs anzuerkennen und sich taufen zu lassen. Das folgende militärische Gerangel kostete den Spaniern acht Tote, darunter Magellan.

Lediglich ein Schiff von der stolzen Flotte traf nach drei Jahren mit Gewürzen und 18 ausgezehrten Seeleuten in Spanien ein. Menschlich eine Tragödie, finanziell eine Pleite.

In edler Aufmachung erinnert dieses Buch an Magellans 500. Todestag. Bestechend die Illustrationen des Ausnahme-Künstlers Klaus Ensikat. Seine Zeichnungen gleichen detailreichen Wimmelbildern, in denen man sich verliert. Die Infos per Zeichenstift sind ästhetisch überwältigend und lassen dem Leser das Lebensgefühl jener Zeit spüren. 

Die Autorin erzählt in der Form des Abenteuerromans. Aufgrund ihrer Erfahrung in diesem Genre sowie der farbigen Biographie des Protagonisten gelingt ihr das recht gut. Allerdings fokussiert sie den Blick zu sehr auf die Schwierigkeiten Magellans, zu einer Würdigung seiner Leistung ist sie nicht bereit – armer Magellan! 

Nahezu klischeehaft weist die Autorin darauf hin, dass Priester mit an vorderster Front standen, um die Menschen auf die Schnelle katholisch zu machen. Die Geschichte von Malakka jedoch lehrt, dass der Missionstätigkeit der katholischen Kirche in diesem von Indien aus muslimisch geprägten Raum kaum Erfolg beschieden war. Die einzige Ausnahme bilden die Philippinen, was aber nicht auf Magellan zurückzuführen ist. 

Geeignet für Kinder von 10 – 12 Jahren 

Freunde, das können auch Fuchs und Maus sein

“Eine Maus namens Julian”
Joe Todd-Stanton (Autor und Illustrator) 
Verlag: Beltz & Gelberg
ISBN: 9783407758347

Julian, eine Maus, hatte alles, was man zu einem guten Leben braucht: eine schöne Wohnung, Gesundheit, genug zu essen und zu trinken. Streit gab es übrigens auch keinen, denn er lebte alleine. Und so wäre es auch weiter gegangen, wenn nicht eines Tages der Fuchs geplant hätte. Julian zu fressen. Dass er allerdings bei diesem Versuch im Fensterrahmen von Julians Wohnung jämmerlich hängen blieb – wer hatte das schon ahnen können! 

Eine nicht alltägliche Szene, unangenehm für beide. Aber wie so oft im Leben kommt es darauf an, was man aus einer Situation macht. Für Julian gab nur eine Möglichkeit: die ganze Nacht miteinander zu reden. Das gefiel auch dem Fuchs. 

Im Schein der Morgensonne gelang es Julian, den Fuchs zu befreien. Doch es war nicht mehr derselbe Fuchs, wie am Tag zuvor. Er hatte Julian als anregenden, sympathischen Gesprächspartner kennen und schätzen gelernt. Und als Julian kurze Zeit später im Anblick einer hungrigen Eule um sein Leben bangen musste, wurde er von demselben Fuchs gerettet, der ihn vor Kurzem noch hatte fressen wollen. Schließlich waren sie ja Freunde, und ein Freund lässt den anderen nicht im Stich. 

Aber Freunde sind nicht nur in Krisenzeiten zusammen, mit einem Freund zusammen kann man reden, Ideen austauschen, lachen, fröhlich sein. Oder sich gegenseitig einfach zum Essen einladen. Julian hatte in letzter Zeit so viel gelernt. 

Eine berührende, bezaubernde Fabel, in der das Alltagsleben von zwei Tieren durch ein seltsam-komisches Ereignis eine erfreuliche Wendung nimmt. Nicht dass sich alles von alleine ergibt, das eigene Zutun ist ebenso wichtig. Am Ende gewinnen beide. Ihre Freundschaft macht ihr Leben farbiger und angenehmer. 

Die märchenhaften Bilder füllen und erweitern den knappen Text zu einer Wimmel-Bildergeschichte. Exzellent auch zum Vorlesen geeignet, da aufgrund der Fülle der lebendigen, witzigen Illustrationen gleichsam ein Film-Comic-Streifen mitläuft. Ein Bilderbuch, das Unterhaltung, Freude und Bereicherung auf hohem Niveau vermittelt.

Lesealter: 5 – 7 Jahre

Ein Buch als stilles Denkmal an eine schlimme Zeit

“Drinnen – Draußen”
Autor/Illustrator: LeUyen Pham
Thienemann Verlag
ISBN: 9783522459716

Die Pandemie ist noch nicht vorüber, doch mit Büchern über Covid 19 werden wir bereits gut eingedeckt. Während die meisten den Leser auf vielen Seiten informativ und erklärend umgarnen, macht das Bilderbuch “Drinnen Draußen” genau das Gegenteil. Leise kommt es daher, mit vielen großflächigen Bildern und wenig Text, ohne das Wort Corona auch nur zu erwähnen.

Die amerikanische Autorin LeUyen Pham erklärt nicht, sie schildert. Das vergangene Jahr hat die Gesellschaft verändert. Keiner entkam ihr, auch nicht die Kinder. Das Leben verlagerte sich zunehmend von außen nach innen. Straßen und Plätze wurden leerer, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe reagierten die Menschen auf den Virus in ähnlicher Weise. Der Blick aus dem Fenster wurde zum Kommunikationsportal nach draußen. 

Die große Ausnahme bildeten die Menschen, die dringend gebraucht wurden: Ärzte, Krankenschwestern, Polizisten, Feuerwehrleute und Lebensmittelhändler.  

Drinnen suchte man sich zu beschäftigen, so gut es eben ging. Draußen läuteten die Glocken nicht mehr, die Schaukeln hingen müde herum. Alle bemühten sich, irgendwie weiterzuleben – mit Lachen, Weinen, Sich-Gegenseitig-Helfen, Beten und Hoffen. Niemand konnte aber verhindern, dass wir uns fast unbemerkt veränderten. Alle! Alle, die wir drinnen waren, denn innen sind alle Menschen gleich. Und alle hegten die große Hoffnung und den dringenden Wunsch, dass sich endlich wieder der Frühling zeigen möge. Innen und außen, der Frühling des normalen Lebens.

LeUyen Pham erzählt nichts Neues; aber sie trifft die Lebensader in jedem von uns, von den Kleinen und Großen, den Geduldigen und Ungeduldigen. Allein dieses Verbalisieren wirkt bereits heilend. Die ruhigen Bilder, die auch heiteren Szenen Raum geben, bieten Haltepunkte des Erinnerns. Ein stilles Buch als Denkmal an eine schlimme Zeit. 

Der Schluss lenkt die Gedanken auf den kommenden Frühling, von alters her die Zeit des Neuanfangs und der Hoffnung. Eine Pandemie macht demütig, ein Leben so wie es vorher war, würde uns schon genügen. Mehr Sehnsucht muss nicht sein.

Lesealter: 5-7 Jahre 

Die Mordnacht von Penzberg kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner

“Dunkelnacht”
von Kirsten Boie (Autorin)
Oetinger Verlag
ISBN: 9783751200530

So kennt man Kirsten Boie, die Schriftstellerin von der Waterkant, noch nicht: als Chronistin der bedrückendsten Tage in der Geschichte des oberbayerischen Städtchens Penzberg. Ihr feines Gespür für Kinder und Jugendliche und ihr gesellschaftliches Engagement machte sie zur deutschen Astrid Lindgren, im Hinblick auf ihre Vielseitigkeit übertrifft sie jedoch das große Vorbild aus Schweden. 

Mutig holt sie ein Ereignis am Ende des 2. Weltkriegs ans Licht, das an Brutalität, Menschenverachtung und irrsinniger Befehlstreue seinesgleichen sucht. 

Am 27. April 1945 verkündete die “Freiheitsaktion Bayern” über den Reichssender das bevorstehende Kriegsende. Gleichzeitig bat man die Bürger, die letzten Nazis daran zu hindern, noch funktionierende Industrieanlagen zu zerstören. In Penzberg fanden sich solch gute Geister. Etwas zu früh, wie sich herausstellen sollte. 

Wilde Aktionen der Hitlertreuen, teils ferngesteuert, teils vor Ort, teils aus sinn- und herzlosem Pflichtgefühl, teils aus Unfähigkeit und mangelndem Mut ebneten den Weg in die Katastrophe. Nach der Erschießung einiger Männer von einer Wehrmachtseinheit rückte kurz darauf die Organisation Werwolf in Penzberg ein und übernahm. 16 Bürger, die auf der Liste standen, wurden aus den Betten geholt und kurzerhand an Balkonen und Bäumen in Penzbergs Mitte aufgehängt, Stunden bevor die Amerikaner einmarschierten. Hitler setzte seinem Leben zwei Tage später ein Ende, am 8. Mai 1945 war alles vorbei.

Als in Deutschland einige Monate später wieder die freiheitliche Grundordnung eingerichtet war, wurden die Penzberg-Mörder vor Gericht gestellt. Das Urteil: Freispruch. Die Angeklagten hatten ja “nur” Befehle ausgeführt. 

Kirsten Boie entschied sich für eine Novelle, eine kurze Prosa-Erzählung. Das gab ihr die Möglichkeit, fiktive Personen hinzu zu fügen. So erzählen Schorsch und Marie, ein junges Paar, mit großer Emotionalität den Alptraum dieser Nacht. Er geht unter die Haut geht; nicht als Entspannungslektüre für den Abend gedacht, wohl aber als Mahnung an eine dunkle Nacht.

Lesealter: 14 – 16 Jahre