Geo- und Heliozentrismus, die Universen der Griechen, der Chinesen und der Araber, die Unendlichkeit des Universums oder der Newtonsche Raum – eine Fülle an nicht einfachem Wissen, die eher zum Wegschauen animiert; es sei denn, das hat alles auf 47 Seiten Platz, ist auf das leicht Begreifbare beschränkt und ist mit modernem, clever designten, pädagogisch-genialen Einfühlungsvermögen gemacht, so wie dieses Buch. Mit knappen Texten, mit einer Vielzahl an Klappen und Faltseiten, nacheinander geschaltete Skizzen, um unsere Erde zum Beispiel in Laniakea, dem Supergalaxienhaufen, eingeordnet zu sehen. Dazwischen aber wieder Seiten zum Ausruhen, Reflektieren und Meditieren. Ein Edelstein von einem Buch.
Kategorie-Archiv: Buchbesprechung
Wer die Nachtigall stört (als Graphic Novel)
Als das Original-Buch 1960 erschien, wurde es umgehend zu einem grandiosen Verkaufserfolg, dem der Pulitzerpreis nachfolgte. Mit diesem einzigen Buch erwarb sich Harper Lee die größtmögliche Anerkennung, die nicht nur auf die USA beschränkt blieb.
In Alabama, einem von Großgrundbesitzern und Sklaven geprägtem Südstaat, erschütterte ein Fall von Vergewaltigung die Geordnetheit des Alltags. Der Landarbeiter Tom Robinson, ein Farbiger, soll ein weißes Mädchen vergewaltigt haben. Atticus, ein Anwalt mit humanistischer Grundhaltung und leidenschaftlicher Verfolger der Wahrheit, wurde mit der Verteidigung beauftragt. Als sich bei ihm ein ganz anderer Tathergang abzeichnete, gerieten er und seine beiden Kinder Jem und Scout in die Schusslinie von Rassisten.
Nun erschien dieses Buch als Graphic Novel. Eine solche lässt sich locker und schnell lesen. Viele Informationen und Stimmungsschilderungen übernehmen hierbei die Bilder. Das ermöglicht insbesondere heutigen Jugendlichen einen zeitgemäßen Zugang. Von diesem Klassiker strahlt auch heute noch eine Fülle an Magie und Kraft auf die Leser aus, wie er es einst im Jahre 1960 tat.
The Hate U Give
Mit dem Satz „Ich hätte nicht auf diese Party gehen sollen“ beginnt diese Geschichte. Zum Glück ging sie hin, die 16-Jährige Starr Carter, eine Farbige aus Garden Heights, einem großstädtischen Problemviertel der USA, sonst wäre dieses so wichtige, außergewöhnliche Buch nicht entstanden. Die Story birgt nicht nur spannende Erlebnisse der pubertierenden Starr im Umfeld von Rassismus, Wut, Liebe und Bandenherrschaft bis zur letzten Zeile. Es informiert den Leser so nebenbei über das öffentliche und private Leben einer schwarzen Community: über deren Gefühlswelt, deren täglichen Kampf ums Überleben und vor allem über die noch immer heftigen Knirschgeräusche beim Miteinander von Schwarz und Weiß. Um es gleich vorweg zu nehmen: Wer dieses Buch zur Hand nimmt, wird es so schnell nicht wieder weglegen. Es ist faszinierend, lebendig und authentisch geschrieben. In der New York-Times stand es lange Zeit ganz oben in der Bestsellerliste, in Deutschland bekam es jüngst den Jugendliteraturpreis. Zu Recht!
Auf besagter Party in Garden Heights fühlte sich Starr von Anfang an nicht wohl. Die jugendliche Subkultur ihres Viertels, die sich hier im Geruch von Gras, in persönlichen Anspielungen auf die Tatsache, dass sie Schülerin einer vor allem von Weißen besuchten Privatschule war, sowie in einer Schießerei ausdrückte, behagte ihr nicht. Als sie mit Khalil wegfuhr, wurden sie von einer weißen Polizeistreife aufgehalten. In ruppiger, nahezu handgreiflicher Weise wurde Khalil aus dem Auto gezogen und nach Drogen abgetastet. Der Polizist konnte nichts bei ihm finden, dennoch war Khalil kurz darauf tot. Erschossen von dem weißen Polizisten. Eine Szene, wie sie in einer Reihe ähnlicher Beispiele die letzten Jahre durch die Presse gingen.
Die Tat blieb nicht ohne Folgen, weder für Starr selbst, noch für ihre Familie, nicht für die farbige Community, teilweise auch nicht für die Weißen in ihren hübschen, schnuckeligen Wohngegenden. Auf persönliche Sicherheit bedacht hofften Starrs Eltern zunächst, ihre Tochter aus den polizeilichen Untersuchungen, den Medienberichten, dem öffentlichen Rumoren sowie den Aktivitäten der Gangs raushalten zu können. Die Realität lehrte sie jedoch kurz darauf, sich von dieser Wunschvorstellung zu verabschieden. Woche um Woche wuchs Starr der Mut, sich den Missständen zu stellen und sie öffentlich zu nennen. Eine Entscheidung, die ihr Leben in große Gefahr brachte. Die gesellschaftliche Situation, die sich hier seit Jahrzehnten verfestigt hatte, war mehrschichtig:
- Da waren die Vorurteile der Weißen den Farbigen gegenüber, die in einer Art Getto lebten.
- Bei den Nachforschungen zu Khalils Tod spürte nicht nur Starr, dass die weißen Ermittler die Sachlage so erscheinen lassen wollten, dass Khalil ein Drogendealer war und dass sein Tod schon so in Ordnung sei.
- Für die Farbigen jedoch war Khalil von einem weißen Polizisten leichtfertig ermordet worden. Die Geschworenen hielten ihn allerdings für unschuldig.
- In Garden Heights, der farbigen Community selbst, kämpften Drogenbanden um die Herrschaft, tägliche Schießereien waren nahezu an der Tagesordnung.
- Das Viertel konnte den Jugendlichen keine Arbeitsplätze anbieten. So hielten sie sich mit Drogendealen über Wasser.
Doch mit der Auflistung der Probleme allein würde dieses Buch nicht ein solch qualitatives Maß erreichen. Da muss schon so eine Art revolutionärer Umwälzung her, um die gesellschaftliche Erstarrung zu sprengen. Diesen Part übernimmt Starr, die Protagonistin, die parademäßig im Schnittpunkt zweier Kulturen steht. Im Schutze von bewundernswerten Menschen ihres Alltagslebens, die sie auch fördern und anregen, erlebt sie Erfolge. Rückschläge, Hass und Rassismus in ihrer engsten Umgebung bleiben jedoch nicht aus. Zum Glück zerbricht sie daran nicht, all das macht sie stärker.
Die farbige Autorin Angie Thomas, die diese Subkultur aus eigenem Erleben kennt, verankert Starr fest in ihrer Familie und ihrer Nachbarschaft. Dennoch – und das macht die Geschichte unendlich kraftvoll und spannend – verzichtet sie nicht auf den Blick auf die beiden Seiten einer Medaille. So erlaubt sich Khalil am Auto stehend dennoch zwei Schritte, obwohl er streng verwarnt worden war, sich zu bewegen; so schickt Starrs Familie ihre drei Kinder in eine teure Privatschule in weißer Umgebung, obwohl das Milieu in Garden Heights ihr originär-kultureller Nährboden ist, so ziehen sie schließlich von da weg, obwohl sie in der „besseren Gegend“ auf die menschliche Nähe und die Herzlichkeit der Nachbarschaft nahezu verzichten müssen. So genießt Starr das Befreundet-Sein mit Chris, einem Weißen aus reichem Hause, obwohl sie erst am Ende sich sicher sein kann, dass er ihre afroamerikanische Art zu denken und fühlen, versteht.
Mit Laune am Erzählen schildert die Autorin authentisch und witzig Details des Lebens in Starrs Familie, einer intakten, fröhlichen Einheit, die sich von den üblichen Alltagssorgen nicht aus der Rhe bringen lässt. Geradezu köstlich zu lesen aber ist der sprachliche Umgang miteinander sowie das sich Aufgehoben-Fühlen beim „Schwarzen Jesus“.
Dieses Buch kann gleichberechtigt neben anderen großen Romanen aus den USA stehen, die neben der persönlichen Geschichte der Protagonisten auch das gesellschaftliche Gefüge ihrer Zeit brillant beschreiben und erklären. „Onkel Toms Hütte“ wäre hier zu nennen, „Tom Sawyer und Huckleberry Finn“, aber auch „“Wer die Nachtigall stört“. Ein moderner Klassiker also, das sich definitiv auch als Schullektüre eignet, auch wenn da 500 Seiten zu lesen sind.
Johnny Delgado – Der Vater meines Mörders
Kevin Brooks, der englische Autor, ist eine feste Größe der deutschen Jugendbuch-Szene. Er ist bekannt für knallharte, extrem-spannende Thriller. Für „Lucas“ und „The Road of the Dead“ bekam er den Deutschen Jugendbuchpreis.
In diesem Buch macht sich Johnny Delgado, der in einen sozialen Problemviertel Londons lebt, auf, den Mörder seines Vater, zu finden. Er weiß um die Drogenbanden, die das Geschehen in diesem Viertel unangenehm mitgestalten. Was er bald herausfindet, ist explosiv: Jack Taylor, ein Kollege seines Vaters aus dem Rauschgiftdezernat, war und ist mitten in die schlimmsten Drogengeschäfte verwickelt, von denen sein Vater sich fernhielt. Und dieser Jack Taylor hatte auch keine Skrupel, David Cherry, Johnny’s Vater, von einem zwielichtigen Kerl erschießen zu lassen. Das Wissen hierüber jedoch bedrohte Johnny’s Leben schlagartig. Inmitten von gewaltbereiten Gangs, Auftragskillern und korrupten Polizisten kommt es am Ende zum furiosen Showdown zwischen Jack Taylor und Johnny Delgado.
Eine action-betonte, aufregende Geschichte, die sich auf 89 Seiten flott und leicht lesen lässt. Bestens geeignet auch für nicht ganz so lesefreudige männliche Jugendliche.
Die Rückkehr des Odysseus
Die Rückkehr des Odysseus
Auch wenn Homer, der griechische Dichter, im Buch nicht als Autor dieses berühmten Werks der Literaturgeschichte genannt wird, so ist es doch sein Epos. Aufgeschrieben in Hexameterversen vermutlich zwischen dem 8. und 7. Jahrhundert, vermag die skurrile Irrfahrt von Troja nach Ithaka selbst noch heute junge Leute begeistern. Freilich nicht in der kunstvoll-musikalischen Form jener Zeit, sondern in der Sprache von heute.
Das versteht die englische Autorin in exzellenter Weise. Dank ihrer Wortgewandtheit überlistet der listige Odysseus ein weiteres Mal die Sirenen sowie Polyphem und lässt ihn an den Thrakern und den Freiern nahezu verzweifeln. Die Odyssee ist ein literarisches Kunstwerk, voller Abenteuer, die wie Perlen an einem prallen Spannungsbogen aufgereiht sind, der sich erst auf den Inseln rund um Ithaka schließt.
Die lebendig-wirklichkeitsnah gezeichneten Illustrationen von Alan Lee entführen den Leser gänzlich in die so coole Zeit der Antike.