Klassiker wie dieses “Märchen” überdauern ihre Zeit, immer wieder macht es Spaß, sie zu lesen. Der etwas zerzauste Bob Marley kehrt aus dem Jenseits zurück und bittet seinen früheren Geschäftspartner, den verschrobenen Scrooge, händeringend darum, endlich sein Leben zu ändern und mal was Gutes zu tun. Hat er noch eine Chance? Ja, beim Besuch der drei Geister!
Lisbeth Zwerger gelingt es, ihre Illustrationen von den vielen Vorlagen im elisabethanischen Stil zu lösen. Diese Leistung hätte man auch beim Text gerne gesehen.
Nennen wir es empathische Begabung, wenn ein Autor/eine Autoin eines Kinderbuchs sich mit schwebender Leichtigkeit im Denken, Sprechen, Fühlen und Handeln auf Kinder-Ebene zu bewegen versteht. Ein Paradebeispiel hierfür kommt wieder einmal aus Schweden: Sara Ohlsson mit “Fanny und die Liebe” aus der Fanny-Reihe.
Auch wenn mit sechs bis acht Jahren die kindlichen Eigenheiten sowie die Suche nach Welt- und Lebenserfahrung noch bestimmend sind, haben diese Kinder dennoch ein Recht darauf, wertgeschätzt und in ihrer Persönlichkeit ernst genommen zu werden. Wie das funktionieren kann, zeigt uns Sara Ohlsson.
Die kleine Fanny, die mit Ester, ihrer besten Freundin, am liebsten Pferd spielt, wird eines Tages von eben jener Ester aus der Bahn geworfen. Und zwar mit dem Satz: “Du kannst in mich verliebt sein, wenn du willst.” Fanny, hierauf nicht vorbereitet, antwortet ausweichend. Als sich Esther am Schulschluss nicht mehr von ihr verabschiedet, hat Fanny ein Problem. Für Sara Ohlsson reicht die Verstörtheit sowie der Klärungsprozess in Fanny für ein Thema aus. Genug Material für ein ganzes Buch? Aber ja, auch das Leiden der kindlichen Seele hat eine Existenz und beansprucht Raum.
Wie ein Psychotherapeut nähert sich Sara Ohlsson der Sache, vorsichtig, bedächtig, ernsthaft, immer aber wertschätzend und liebevoll. Zu großes Tempo hierbei wäre ein Fehler. Keine Gefahr bei dieser Autorin. Sie versteht es mit Feingefühl, die Angespanntheit des Inneren in die richtigen Worte nach außen zu übertragen. Besonders das Wort “Verliebtsein” belastet Fanny, es ist ihr in seiner Bedeutung zu nebulös. So wendet sie sich an die Personen, die sie am besten kennt: Mama und Oma. Diese helfen in einfacher, keineswegs banaler Sprache: “Man kann jemanden ja auch sehr gern haben, ohne verliebt zu sein”, meint Mama. Klugerweise müllen sie Fanny nicht mit Fachwissen aus der Erwachsenenwelt zu. Der Tag nimmt seinen Lauf, wie sonst auch. In Fanny arbeitet das Thema weiter und schwappt immer wieder an die Oberfläche.
Abschluss und Lösung findet Fanny schließlich mit einer haptischen Tätigkeit, dem Bemalen des Schmetterlings-Steines in Esters Lieblingsfarben. Sie wird ihn ihr schenken, darum schreibt sie auch in Glitzerfarben ESTER drauf.
Sara Ohlsson weiß, wie man aus einem scheinbar winzigen Thema eine wundervoll-spannende, beglückende Geschichte machen kann, wenn man nur nahe genug an der Kinderseele bleibt. Die Bleistiftzeichnungen der großartigen Illustratorin Jutta Bauer ergänzen im Gleichklang das heiter-ernste Buch, das zu den Edelsteinen der aktuellen Kinderliteratur zählt.
Michael Morpurgos Bücher verdienen besondere Beachtung. Er zählt zu den bekanntesten englischen Schriftstellern. Hochgelobt und vielfach ausgezeichnet. Im Juli 2021 erschien sein Buch “Der Leuchtturmwärter und ich” auf Deutsch mit einem geheimnisvollen Schluss, der Spekulationen Nahrung gibt, es stehe in biografischer Nähe zu ihm.
Auf dem Viermast-Schoner Pelikan von New York nach Liverpool befindet sich auch Allen Williams mit seiner Mutter. An den Felsen vor den Scilly Inseln im Südwesten Englands zerschellt die Pelikan. Doch die Passagiere werden alle von dem aufmerksamen Leuchtturmwärter gerettet. In dieser stürmischen Nacht bittet er sodann all in seine Leuchtturm-Wohnung und versorgt sie mit heißem Tee und Keksen. In Allen breitet sich ungeahntes Gefühl der Geborgenheit sowie Zuneigung zu dem wortkargen, etwas verschrobenen Benjamin Postlethwaite aus, die ihn sein Leben lang begleiten soll. Mehr noch, aus diesen Stunden erwächst für ihn der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, die getragen ist von Achtung und Respekt zu diesem Mann, dessen Hilfsbereitschaft und erfülltes Leben Allen gefangen nimmt.
Jahre danach hört dieser durch Zufall wieder von dem skurrilen Einsiedler mit dem goldenen Herzen. Eine Zeitschrift berichtete, Benjamin Postlethwaite sollte für die Rettung der Passagiere einen Orden bekommen. Doch der “Held” lehnte ab, er habe lediglich nur ausgeführt, was selbstverständlich ist. Von da an sucht Allen wieder dessen Nähe. Als Allen heiratet, zieht auch seine Frau zu ihm in die blühende, Leben spendende Einsamkeit rund um den alten Leuchtturm.
Dem aufmerksamen Leser entgeht nicht, dass Allen und der Schriftsteller Michael Morpurgo so manches Gemeinsamkeit teilen. Allen wird Schriftsteller, wie auch Morpurgo einer ist, beide lieben das Leben auf dem Land, wie Morpurgos Frau heißt Allens Frau Clare. Und Allen schrieb ein Buch mit dem Titel “Der Leuchtturmwärter und ich” wie eben Morpurgos Werk, das Thema dieser Rezension ist.
Allens Buch kenne ich nicht, aber über Morpurgos Werk ist eine einfache, zu Herzen gehende Geschichte, die in der atmosphärisch starken Umgebung von Leuchtturm, Inseleinsamkeit und rauer See wunderbar unterhält und berührt. Dem Charakter dieser Szenerie ist der Leuchtturmwärter angepasst: kauzig, aber liebenswert.
Benji Davies’ detailreiche Illustrationen verstärken stimmungsvoll das Leben am Meer und verleihen den Personen Ernst und Würde, nicht ohne augenzwinkernden Witz und Doppeldeutigkeit.
Auf gesellschaftliche Strömungen reagiert die Kinder- und Jugendliteratur atemberaubend schnell. Seien es die Folgen vom Klimawechsel mit den entsprechenden Empfehlungen für Verhaltensänderungen oder die Aufnahme von Covid-19-Themen, die Jugendliche in ihrer Pubertät berühren. Kaum haben Psychotherapeuten im Gefolge der aktuellen Pandemie die Zunahme an Angststörungen und Depressionen bei Jugendlichen registriert, tauchen auch schon die ersten Notfallkoffer zwischen Buchdeckeln auf.
Jakobs Selbstwertgefühl geht gegen null, er ist in einem Käfig aus Panikattacken, selbstzerstörerischem Handeln und Denken gefangen. Dass hierfür sein Vater, seine Brüder sowie die mobbenden Mitschüler verantwortlich sind, kann er nicht mehr erkennen. In dieser gefühlten Endzeit bekommt er einen Anruf von der netten, sehr attraktiven Mitschülerin und Schulsprecherin Lotti, für Jakob ein Wesen aus einem anderen Universum, die ihn zu einer mehrtägigen Wanderung einlädt.
Und damit beginnt der Roadtrip der beiden mit allen gruppendynamischen und realen Erlebnissen, die ein solches Event per se bereithält. Ausgelöst durch die körperliche Bewegung und die permanente Naturumgebung, die vor allem aus Wald besteht, erwachen auch Geist, Gefühle und Seele aus ihrer Versteinerung und erblühen. Das Atmen und Denken wird freier und leichter. Damit kehrt auch die Lebensfreude zurück.
Überraschenderweise outet sich auch Lotti als hilfsbedürftig. Sie leidet unter Stress und schweren Depressionen. Ein zweiter Erzählstrang also, der mit Jakobs verknüpft wird – gemäß dem Plan der Schulpsychologin. Die Wanderung mit Rucksack und Zelt als aktiver Heilungsprozess für beide.
Wer in unseren Breiten wandert, bleibt nicht lange nur für sich. Man trifft auf die verschiedensten Menschen, die einem Abenteuer pur bieten. Da waren die Guerillastricker in einem Waldgebiet, die per Stricken und illegalem Baumhausbau gegen eine geplante Waldrodung ankämpften oder Ben, der krebskrank und dem Tode nahe seine Do-before-die-Liste abarbeitete.
Dazwischen immer wieder die plötzlich hereinplatzenden Anfälle an Ängsten und Selbstzweifeln bei beiden Protagonisten, die sich in Weinen, Schreien, Vorwürfen und Isolierung äußerten. Doch sobald das Leiden sich erschöpft hatte, – der Zweisamkeit sei Dank – kam das aus aus dem Körper losbrechende, heilende Lachen zurück. Die Aktivierung der Selbstheilungskräfte gelang, Jakob und Lotti sahen die Sonne wieder aufgehen. Doch Lotti ließ sich nicht blenden, sie begab sich in zusätzliche professionelle Behandlung.
Der Leser leidet und hofft mit den Protagonisten, er erlebt die entspannenden, lustigen, abstrusen und schockierenden Szenen mit und schließt am Ende überglücklich Lotti und Jakob in sein Herz. Sie haben ja Unglaubliches geleistet. Eine wohltuende, Hoffnung verbreitende Geschichte – trotz der Schwere des Themas. Sprachlich versiert und kurzweilig erzählt.
Die höchste Leistung eines solchen Buches freilich wäre es, wenn Betroffenen tatsächlich geholfen werden könnte. Das freilich bleibt offen. Wenn das Drehbuch von extremen, höchst unwahrscheinlichen Szenen bestimmt wird, verringert sich dessen Wirkung. Nachmachen kaum möglich. Dasselbe gilt für die eingeflochtene Liebesgeschichte. Sie ist amüsant zu lesen, sehen das aber Betroffene genauso?
Mathematik ist so manchem ein Graus und wird deshalb mit Angst in Verbindung gebracht. Das dies aber nicht ein ganzes Leben anhalten muss, beweisen unzählige Schüler. Sie verstehen Mathematik als Abenteuer, als Welt der puren Spannung. Der Universalgelehrte Galileo Galilei freilich ging noch weiter: “Mathematik ist das Alphabet, mit dem Gott die Welt geschrieben hat”, meinte er. Ein schöner Satz, stimmt er aber?
Dieses Buch, eine trockene Beweisführung? Dazu ist es inhaltlich zu aufregend, zu farbig und grafisch zu elegant gemacht. Außerdem will dessen Leserschaft Neuigkeiten, höchst Interessantes, Cooles, Spannendes– und das bietet dieses Buch in Fülle an – und irgendwie versteckt auch eine Art Beweisführung.
Ein paar Kostproben:
Die alten Völker maßen die Entfernung nicht nach Kilometern (dieses Maß war nicht nicht erfunden), sondern nach der Zeit. Ein Berg war also “zwei Tage Fußmarsch” entfernt. Und um die Zeit messen zu können, bedurfte es der Beobachtung von Sonne, Mond und Sternen.
Allerdings hatten die ersten Menschen, die als Jäger und Sammler die Wildnis durchsuchten, noch kein großes Interesse daran, die Zeit zu messen. Das kam erst, als sie anfingen, sich fest an einem Ort niederzulassen und ihr Getreide selbst anzubauen. Die Überlegung, wann man es am besten sät und wann man es am besten erntet, ließ in ihnen die Notwendigkeit entstehen, sich mit der Zeitmessung zu beschäftigen.
Um die Pyramiden zu konstruieren, die auf einer exakt quadratischen Grundfläche stehen und exakt dreieckige Seitenflächen haben, mussten die alten Ägypter erst den rechten Winkel erfinden. Übrigens liegen die riesigen Steinblöcke so perfekt aufeinander, dass nicht einmal eine Kreditkarte dazwischen passt.
Um 200 v. Chr. hatte der griechische Mathematiker Eratosthenes mit einem kleinen Trick herausgefunden, dass die Erde rund ist. Anschließend zeichnete er eine Landkarte der Erde mit ziemlich genauen Längengraden. In seiner Karte gab es bereits unentdeckte Kontinente und Ozeane. Erst 1700 Jahre später verneigten sich die Wissenschaftler vor ihm: Alles super, Eratosthenes!
Die gesammelten und übersichtlich strukturiert dargebotenen Kurzinfos rauben einem den Atem und halten zur Demut an: vor den Strukturen, wie unsere Welt gebaut ist und vor den klugen Köpfen, die deren Geheimnisse Stück um Stück entschlüsseln. Alles verpackt in attraktive, knappe Texte und einem Design, das auf bildverwöhnte Kinder zugeht. Kann ein Buch großartiger, erfüllender, anregender sein? Wohl nicht.