Roadtrip? Gab’s das nicht früher auch schon? Der Schriftsteller Johann Gottfried Seume machte 1802 seinen berühmten Spaziergang nach Syrakus. Nun ja, er schrieb seine Eindrücke zu Landschaften und deren Menschen nieder. Bei einem Roadtrip sind solche Aspekte eher sekundär, im Mittelpunkt steht die eigene, meist lädierte Psyche, die dringend Gesundung und Orientierung braucht. Wie die fünf Typen dieses Buches, die nach Sardinien wollen, aber noch Korsika geraten. Jeder für sich ein Häufchen Elend, in Kombination mit einem Hund, der aber ein Wolf sein soll, eine durchaus lebenstüchtige, fröhliche Gruppe. Je irrer die Situation, umso besser für den Leser. Er schüttelt sich vor Lachen und giert danach, wieder weiter lesen zu können. Nicht nur über die schrägen Aktionen, vor allem auch über den flapsig-abgedrehten Jugendjargon der Protagonisten, von denen jeder für sich ein Unikum darstellt.
Der Autor Hans-Jürgen Feldhaus erweist sich als wohlwollender Jugendversteher, der tief in die Seele hin- und her holpernder Jugendlicher zu blicken versteht. Gegen Ende der Reise, bei der kein Fettnäpfchen ausgelassen wurde, kommt die Wirkung dieses Seelen-Heilungsprozesses zum Vorschein: eine Ahnung von Glücksgefühl.
Ein Buch dieser Art könnte man gut und gerne auch in der Apotheke verkaufen. Ob an Gesunde oder Leidende, egal. Allen tut es gut.
Diese Detektivgeschichte beginnt wie so viele: Harald, der Detektiv, sitzt in seinem Büro und langweilt sich. Zum Glück bahnt sich ein krasser Fall an, der das Aufklären einer Spuk-Alptraums zum Thema hat. Aus dem Wasserhahn läuft hellgrün-neonfarbiges Wasser, nahezu mit Leuchtqualität! Dem nicht genug zeigen sich plötzlich die Schafe von Wiebkes Mutter (Wiebke ist eine von zwei Mitarbeiterinnen Haralds) mit grünen Totenköpfen bedruckt. Und schließlich gibt sich schemenhaft ein körperloses Gesicht auf dem Deich als Grüne Johanna aus und spricht Drohungen aus. Alles in Grün natürlich. Die Menschen sind beunruhigt, auch wenn nicht alle von dem grünen Spuk betroffen sind.
Irgendwie scheint das alles mit dem neuen Roman zusammenzuhängen, den Aurora und Klara Schwartz in Ruckelnsen, einem Städtchen an der Nordsee, zur selben Zeit vorstellen.
Eine heikle Aufgabe für Harald, Wiebke und Trix, zumal die übersinnlichen Elemente dieses Falles tief in der Vergangenheit dieses Städtchens verwurzelt zu sein scheinen. Fremde Personen tauchen plötzlich auf und sind mit von der Grusel-Partie, was das Ganze natürlich nicht einfacher macht.
Als Leser leidet man natürlich mit den Detektiven mit, handelt es sich hier doch noch um Kinder. Zum Glück agieren diese aber fast schon so cool wie Profis und legen abgezockt Schicht um Schicht der zunächst unsichtbaren Zusammenhänge frei. Auch bei einem klassischen Abenteuer-Szenario, das sie durchzustehen haben, machen sie eine gute Figur. Aber mal ehrlich, wer würde schon davor zurückschrecken, einen Schatz, der einst von einer Piratin auf einer Insel versteckt wurde, zu heben? Wie sich herausstellt, ist dieser letztlich der Ausgangspunkt aller Aufregungen in Ruckelnsen.
Doch das zieht sich hin, ja-ja, Spannung muss sein. Kunstvoll hat die Autorin die große Suche mit einer alten Sage in Gedichtform verwoben. Sagen greifen ja bekanntlich gerne dunkle Ereignisse von früher auf, wie das Tun und Treiben der Grünen Johanna, einer Piratin – und ein Gedicht kann ein perfektes Medium für klug versteckte Hinweise sein. Die Fähigkeit, diese zu deuten, muss freilich vorhanden sein. Eine durchaus anspruchsvolle Aufgabe für die drei cleveren jungen Leute. Für den Leser ein paar vergnügte, anregende Stunden.
Was für ein Glück für die Kinder der Klasse 4b, als Frau Honig, das Kindermädchen, versehentlich in deren Schulbetrieb hineingerät! Kein Gespür für die Bedeutung des Lehrplans, ahnungslos dem jahrhundertealten Know-how der Schulorganisation gegenüber und der pflichtbewussten Vergabe von Noten – dafür aber ausgestattet mit einer unendlichen Liebe zu den Schülern, einer unbegrenzten Menge an Fantasie und na ja, – ganz in Mary Poppins’ Art – mit der Begabung für echte Zaubertricks. Sie setzt auf Spaß am Lernen, will den Schülern Lebensberatung vermitteln und ihnen Glücks-Momente eröffnen. Genug, um das traditionelle Unterrichtssystem dieser Schule auszuhebeln.
Die Klasse 4b, von der Schulleiterin als “schwierig” beschrieben, wandelte sich innerhalb kürzester Zeit zu einer Fan-Gruppe von begeisterten “Followern”. Wer es als Lehrer*in schafft, eine Kreide auf bizarre Weise autonom an der Tafel schreiben zu lassen, dem gehört die Aufmerksamkeit der Kinder, keine Frage. Und Frau Honig konnte das mit links – und noch viel mehr. Den kleinen Bijan aus Somalia redete sie auf Somali an – seine leuchtenden Augen waren der Dank. Frau Honigs feine Sensoren hatten längst erspürt, dass es Bijan aufgrund seiner Andersartigkeit und der mangelnden Deutsch-Kenntnisse schwer in dieser Klasse hatte. Ihre pädagogisch-psychologischen Antwort war das Wörterbad, das ihm seine Mitschüler angedeihen lassen sollten. Frau Honigs Methoden, ihr Schwung, ihre Spontaneität irritierten sogar so manche Schüler. Für die einen hatte sie “nicht mehr alle Tassen im Schrank”, der Musterschülerin des alten Systems fehlte die Sonderbehandlung durch ihre Klassenlehrerin. Für Alicia, der Strebsamen, der optimal Angepassten brach eine Welt zusammen, von Frau Honig hören zu müssen: “Ich habe den Stundenplan in den Müll geworfen. Er lässt dem Lernen nicht genug Luft! Er ist unbeweglich und nicht sonderlich originell.“
Natürlich folgte Frau Honig einem Lehr-Plan, doch dieser war so ganz anders gestrickt und erschien so aufregend neu. Ihre Maxime hatte sie dem Oldie Heraklit von Ephesos (520 v. Chr.) entliehen: “Bildung ist nicht das Befüllen von Fässern, sondern das Entzünden von Flammen.”
Man beginge einen Fehler, würde man dieses Buch als Lehrwerk für Pädagogik-Studenten betrachten. Es handelt sich um eine kunterbunte, kurzweilige Erzählung mit einer bezaubernden Protagonistin, die den jugendlichen Leser freilich in raffinierter Weise verleitet, das turbulente Fantasie-Geschehen mit dem eigenen Schulalltag zu vergleichen. Und das können Fridolin, Noah und Hannah selbst in Corona-Zeiten nur zu gut.
Sabine Bohlmann, die Autorin, klagt nicht an, sie präsentiert in witzigen Worten eine Lehrerin, die so erfrischend anders ist: locker, unbeschwert und mit dem Herz auf dem rechten Fleck. Bei der Meinungsfrage in Antolin bekundet der Großteil der Schüler: “Ich hätte auch so gerne eine Lehrerin wie Frau Honig.”
In den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts raubte A.S. Neill mit seiner Idee von “Summerhill”, einem radikalen Schulversuch in Südost-England, jungen Lehrerstudenten den Schlaf. Auch hier war der Ausgangspunkt der Traum von einer Schule, der es gelingt, den Schülern gleichzeitig eine Wohlfühlatmosphäre zu bieten und ihnen ein Universum von Anregungen und Werkzeugen zur Verfügung zu stellen, um deren Fähigkeiten freien Lauf zu lassen.
Gut nachzuvollziehen, dass Frau Honigs Kolleginnen sie bald skeptisch und misstrauisch beäugten. Doch nicht lange. Ihre Heiterkeit und Fantasie sprang rasch auf die Schüler und einige Lehrer der anderen Klassen über. Eine Schülerin meinte lachend: “Ich sag ja, Frau Honig ist ansteckend!”
Den Lesern dieses Buches dürfte es ähnlich ergehen. Sabine Bohlmanns “Frau Honig” scheint auch auf sie eine magische Wirkung auszuüben. Oder ist es einfach nur so, dass diese Mischung aus guter Laune, sprühender Freude, Lebenslust, positivem Denken und Witz jeden glücklich macht? Erich Kästner wusste um diese Wirkung von Literatur und empfahl in seiner “Lyrischen Hausapotheke” das Lesen gegen den Weltschmerz, ob klein oder groß.
Und wieder ein Pionier, den der deutsche Illustrator und Autor Torben Kuhlmann in seiner unnachahmlichen Weise vorstellt: diesmal Albert Einstein, den Physiker und Vater der Relativitätstheorie. Nicht nur in biographischer Form. Seine Hauptintention ist es, Kinder in die Zusammenhänge von Raum und Zeit einzuführen, deren Kurzform lautet: “Zeit ist relativ”. Eine wahrlich anspruchsvolle Aufgabe.
Seine ersten vier Bücher dieser Kategorie (Lindbergh, Armstrong, Edison) zählen zu den modernen Edel-Klassikern. Keine Frage, auch “Einstein” zählt ab jetzt dazu.Kuhlmanns “Bilderbücher” sind außergewöhnlich. Er versteht es, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wunderbar miteinander zu verschlingen, Reales geht in Fiktionales über und umgekehrt, ohne dass man dies als störend empfinden würde und die perfekte Kunst, eine Geschichte mit Text und Bildern gleichwertig-harmonisch zu erzählen. Das geht sogar so weit, dass er immer wieder detailverliebte, akribische Bildfolgen über mehrere Seiten erscheinen lässt, die anstelle des Textes die Geschichte weitererzählen. Optische Typen mit Hang zur Ästhetik werden in Wonne zerfließen.
Durch die Geschichte selbst führt uns eine clevere, hartnäckige, wissbegierige Maus. Und weil sie um einen Tag das große Käsefest verpasste, beschäftigt sie sich von da an mit dem Thema Zeit. Ihr Ziel? Die Zeit zurückzudrehen, um an diesem Käse-Spektakel doch noch teilnehmen zu können. Schritt für Schritt kämpft sie sich vor bzw. zurück – bis sie schließlich bei der Doktorabeit von A. Einstein im Patentamt in Bern landet – und damit bei der Theorie von der Relativität der Zeit.
Die muntere Maus liest sie und baut in der Folge ein Mini-Raumfahrzeug, mit dem sie tatsächlich in die Vergangenheit sausen kann. Beim ersten Versuch schießt sie jedoch um mehr als 80 Jahre über das Ziel hinaus. Macht aber nichts, denn im Jahr 1905 trifft sie auf das Genie Einstein. Den Kontakt stellt sie über Rätsel her, die A. Einstein möglicherweise erst auf den Trip mit der Relativitätstheorie bringen, ein gewagtes, aber amüsantes Gedankenspiel.
Auf jeden Fall sorgt die kleine Maus und ihr großer Partner für eine muntere, kurzweilige und geistreiche Geschichte. Abenteuerlich erscheint allerdings die Aussage des Verlages, das Buch sei für Kinder ab 5 Jahren geeignet. Die Spielchen der Maus vielleicht, die Verständlichmachung von Einsteins berühmter Theorie sicherlich nicht. Vielleicht schafft das ein Zwölfjähriger mithilfe des Info-Anhangs.
An Weihnachten, dem christlichen Fest, wird – jeder kann es bei Wikipedia nachlesen – die Geburt Christi gefeiert. Eng damit verbunden sind Hoffnung, Freude und die Bereitschaft, anderen etwas zu schenken. Bücher zum Beispiel, was natürlich so manchen Autor lockt. Michael Morpurgo ist ein geschätzter, britischer Autor, mit vielen Preisen ausgezeichnet und von der Queen zum “Sir” ernannt.
Seine kreative Idee für das diesjährige Weihnachtsbuch verwundert jedoch. Ihm liegt weniger der originäre Weihnachtsgedanke am Herzen, sondern die höchst gefährdete Situation unseres Planeten. Er erinnert an die Würmer, den Gemüsegarten, Amseln und Drosseln. An das zerbrechliche Leben auf dem Planeten, an die Schmetterlinge, Bienen und Vögel. Keiner wird Morpurgo widersprechen, wenn er dazu aufruft, “unsere Erde wieder zu lieben, sie so zu lieben, wie ich dich liebe und du mich”.
Alles super, na klar, aber – ach ja, Weihnachten! Nun ja, eine kleine Rahmenhandlung klebt an seinem „Rettet-die-Erde-Aufruf“ dran: Ein Großvater schreibt einen Brief an einen jungen Menschen, seine Enkelin; nicht ganz originell, von der Sorte gibt es genügend in der Literatur: Peter Härtling, Hans Fallada oder Matthias Claudius zum Beispiel. Alle mit derselben Intention: in wohlwollender Formulierung ein Schubkarren voller Ratschläge. Alles gut gemeint, alles richtig – aber was hat das mit Weihnachten zu tun?
Nun ja, bei Morpurgo liegt Opas Brief seit vielen Jahren unter dem Christbaum. Zur Heilig-Abend-Zeremonie gehört, ihn der Familie vorzulesen, Opas Vermächtnis als Weihegebet bei Kerzenschein vor dem Anstoßen mit Sekt.
Okay, kann man machen. Nahezu dieselbe Feier ließe sich aber auch an Ostern oder Pfingsten arrangieren. Anstelle des Christbaums findet sich sicherlich eine andere Deko.