Von Pinocchio und der Magie der Bücher


Die Abenteuer des Pinocchio
von Carlo Collodi (Autor),
MinaLima Design (Illustrator)
Verlag: Coppenrath
ISBN: 9783649635680

Bücher werden ihrer Inhalte wegen geliebt. Wirklich? Doch dazu bräuchte es des physischen Buches nicht, das übernimmt heutzutage in digitaler Version jedes noch so kleine Gadget. Wo ist dann aber der Zauber zu finden, der für viele einem gebundenen Buch anhaftet – im Gegensatz zu dem eher als kühl empfundenen metallenen Gerät? Das Berührende, zauberhaft Magische steckt dann wohl mindestens zum Teil im Haptischen, im Sinnlichen. Nach Astrid Lindgren spürt man beispielsweise “am Geruch, wie herrlich es wird, dieses Buch zu lesen.” 

Der Coppenrath Verlag hatte sicherlich die traumhaft-schönen Folianten des Mittelalters mit dem Überschwang an Ornamentik rund um eine Initiale im Blick, als er sich entschloss, die Buchreihe Klassiker MinaLima 2015 aus der Taufe zu heben. Im Oktober 2020 erschien “Die Abenteuer des Pinocchio” in diesem Geiste, einem mit Herzblut und ultimativen Sinn für Ästhetik geschaffenem Buch-Kunst-Werk. Gut lässt sich die Betonung auf Harmonie zwischen Form und Inhalt erkennen. Ein so liebevoll, aufwändig gemachtes Buch kann nicht ganz billig sein, aber es stellt einen Mehrwert dar. Neben seinem jahrhundertelang frisch gebliebenen Inhalt fasziniert die visuelle Gestaltung, das Buch als Schatzkästchen im Wohnzimmer. Der Betrachter nimmt es staunend zur Hand und blättert andächtig darin. Pinocchio, ein Klassiker, der sich in dieser “Prachtausgabe” sichtlich wohlfühlen dürfte. Die interaktiven Elemente – wie Finger- und Anziehpuppen und einem kleinen Theater – laden dazu ein, sich auch haptisch mit dem Geschehen zu befassen. 

Geschichten wie „Die Abenteuer des Pinocchio“, denen man im Laufe der Jahrhunderte das Signum “Klassiker” verlieh, sind von einer Aura umgeben, die sie herausheben aus der Fülle von Alltagsware. Zu Recht. Sie berühren zeitlos-fundamentale Brennpunkte des Lebens, zeigen den Menschen in seinen Eigenarten, seinen Schwächen und Stärken, sind in einer kraftvollen Sprache formuliert und haben den Status der Zeitlosigkeit erreicht. Auch nach vielen Jahren noch spürt man ihre Ausstrahlung. Ob Alt oder Jung, alle werden in ihrer Verstandes- und Gefühlswelt angesprochen.   

So darf man “Die Abenteuer des Pinocchio” als lustige, skurrile Erzählung mit nettem Unterhaltungswert sehen, aber auch als tiefgründiges, komplexes Sammelsurium eines Menschenlebens, der sich im Gestrüpp des Alltags zurechtzufinden sucht. Die Geschichte erlaubt beides.

Spannender ist natürlich der Blick in die Tiefe dieser Marionette, die eigentlich nur einen Wunsch hat, ein echter Junge zu werden. Doch dem gehen Prüfungen vorher, die bestanden werden müssen. Nicht ganz einfach für den zunächst recht einfältigen Pinocchio, seinen Weg und seine Persönlichkeit in einer Welt zu finden, in der das Gute und das Böse allgegenwärtig angeboten werden. 

Pinocchio will ja zur Schule gehen, doch da gelangt er an eine Kreuzung, Sinnbild des Lebenswegs. Er muss sich entscheiden, Verlockungen auf der einen Seite, das sinnvolle Arbeiten auf der anderen Seite. Nur allzu oft wählt er die falschen Freunde – und muss in letzter Minute von den guten Geistern aus höchster Not gerettet werden. Doch zum Glück bleiben diese ihm treu und zeigen unendlich Geduld und Nachsicht mit ihm. Gepetto, sein Vater, ist so einer, ehrlich und gutmütig bis zur Selbstaufgabe, aber auch die blaue Fee, die seine Mutter symbolisiert. Eine echte Mutter hatte er ja nie. 

Mag sein Lebensweg holprig sein, Pinocchio wächst und reift an seinen Fehlschlägen. Er vernimmt die Stimme seines Gewissens immer besser, sieht ein, dass Lernen seinem Leben eine gute und stabile Grundlage vermittelt und erkennt schließlich, dass Freiheit auch Verantwortung und Pflicht bedeutet.

Als letzter Schubs in Richtung Läuterung und Erkenntnis erweist sich sein Aufenthalt im Bauch eines Wals, dem biblischen Jona ähnlich, in dem er Geppetto nach langer Zeit wieder trifft.

Der Leser darf aufatmen, als Pinocchios Entwicklungs-Reise sich dem Ende nähert. Eines Tages wacht er als richtiger Junge aus Fleisch und Blut auf.

Das Kind, das den Frieden auf Erden bringen soll

Das Weihnachtskind
von Rose Lagercrantz (Autor),
Jutta Bauer (Illustrator)
Verlag: Moritz
ISBN: 978-3895653094

Jeder kennt sie, die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, ob Christ oder Nicht-Christ, ob in Europa, Asien oder anderswo. Und jeder ist berührt von dieser bezaubernden, einfühlsamen Geschichte, diesem “immateriellen Kulturgut der Menschheit”. Der Schriftsteller Martin Walser nennt sie „die schönste Geschichte, die je geschrieben wurde. Es gibt keine schönere in der Weltliteratur.”

Da dies so ist – und Jung und Alt immer wieder geradezu danach verlangt, wird sie jedes Jahr zur Vorweihnachtszeit in vielerlei Variationen als Buch neu aufgelegt. Das Problem hierbei allerdings ist: der Bevölkerungsanteil, der sich nicht mehr als christlich-religiös betrachtet, wächst. Und somit wünscht diese Käuferschicht die zutiefst menschliche, liebevolle Geschichte, nicht aber die ausgesprochen christlichen Bezüge in ihr.

Schon Astrid Lindgren war sich dieser Problematik bewusst und versuchte sich in “Weihnachten im Stall” mit einer “christlich-light” Story. Andere folgten. Die schwedische Autorin Rose Lagercrantz sieht es als Experiment an, die Weihnachtsgeschichte so zu erzählen, dass der so hoch geschätzte Gehalt so authentisch wie möglich alle Kinder erreicht, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. Wie sieht so etwas aus?

Ihre Geschichte enthält die Wanderung von Maria und Josef nach Bethlehem, die Geburt im Stall, die Hirten, aber auch die magischen Elemente Stern, Engel und die Weisen aus dem Morgenland. Und eher beiläufig auch “das Kind”. Dieses Kind hat aber keinen Namen, auf dessen Verbindung mit Heilserwartung, Hoffnung, Göttlichkeit wird erst gegen Ende eingegangen. Dafür aber nehmen die Themen “ersehnter Frieden” und “bedrohte Welt” durch Herodes und Co. großen Raum ein. Wird er es schaffen, der Sohn Gottes, des Allmächtigen, den Frieden dauerhaft zu bringen, so wie man ihn in jener Nacht spüren konnte?

Die zauberhaften Illustrationen von Jutta Bauer besänftigen und nehmen Härte weg. Stark der Schluss, wenn die Autorin in sehr warmherzigen Worten des Menschen tiefe Sehnsucht nach einem Leben in Frieden beschreibt.

Ein Glücksfall für Emma

Als Papa verloren ging
von Afsaneh Sanei (Autor und Illustrator)
Verlag: Minedition
ISBN: 978-3039340026

Es gibt Bücher, die locker-leicht ganze Gefühlswelten explodieren lassen. “Als Papa verloren ging” ist so eines. Die Geschichte an sich könnte kürzer und einfacher nicht sein, der Text kaum knapper, die Erzählweise nicht entspannter. Man spürt geradezu die Stille über dem Ganzen. Doch der Plot ist so energiegeladen und empathisch-impulsiv, dass der Leser, mag er jung sein oder alt, nicht ruhig bleiben kann.

In einer südländischen Kleinstadt geht ein Vater wie überall morgens zur Arbeit. Die Neugierde seiner kleinen Tochter Emma treibt sie eines Tages an, ihrem Vater zu folgen. In der geschäftigen Innenstadt verliert sie ihn jedoch aus den Augen. Da fällt ihr auf, dass es viele Kinder in eine Eisdiele an der Piazza zieht. Und siehe da, die Kinder werden von einem freundlichen Eisbären bedient, der die Größe ihres Papas hat.  Klar, dass sie ihn mögen. Emma verschlägt es die Stimme, als der Eisbär auf sie zukommt und ihr eine Spitztüte voll leckerer Eiskugeln spendiert.  Anschließend führt der nette Eisbär sie sogar zu Mama nach Hause. Er bleibt sogar, bringt sie ins Bett, trinkt mit Mama Tee – und zieht an seinem Kostüm, bis darunter Papa zum Vorschein kommt. Das kann Emma von ihrem Bett aus sehen. Sie weiß, Mama und Papa sind immer für sie da.

Kinder brauchen Bücher. Solche vor allem. Für Kinder zwischen 4 und 8 Jahren sind sie Unterhaltung, Quelle der Freude und Stärkung der Seele in einem.

Tier-Wandler mit sehr menschlichen Wesenszügen

Seawalkers (Bd. 3): Wilde Wellen
von Katja Brandis 
Arena-Verlag
ISBN: 9783401605272

Katja Brandis hat mit ihren Tierfantasy-Romanen “Woodwalkers” und “Seawalkers” den Nerv der 12 bis 18-Jährigen getroffen. Waren noch vor einigen Jahren die reinen Tier-Romanen wie “Warrior Cats” oder “Survival Dogs” kräftig nachgefragt, so blüht heute das Subgenre der Tier-Mensch-Wandler. Losgelöst von den Themen und Settings der früheren Fantasy-Literatur, die vor allem ihre Wurzeln in der Mythologie und der Sagenwelt hatte, zeigen sich die Wandler-Geschichten näher am Puls der heutigen Zeit. Die Handlungen spielen sich an realen Orten ab, das Geschehen findet in einer fiktiven Welt statt, die sich deutlich von der realen unterscheidet. Die magischen Elemente oder Zauberkräfte sind insofern ein wichtiger Bestandteil. 

Einer der Seawalkers-Protagonisten in “Wilde Wellen” ist Tiago. Er wuchs als ganz gewöhnlicher Junge bei seinem Onkel Johnny in Florida auf. Erst später wurde ihm bewusst, dass er ein Seawalker ist, eine Person also, die – ein bisschen Übung vorausgesetzt – von der menschlichen in eine Tiergestalt und zurück wechseln kann. Die Tiergestalt ist den Seawalkern angeboren. Tiago, ein Tigerhai, ist peinlich darauf bedacht, sich den normalen Menschen nicht als solcher zu zeigen. 

Wohl die beste Idee, dass sein Vater ihn auf die Blue Reef High schickte, einer Spezialschule für alle Formen von Wandler-Gestalten. Hier fühlt er sich wohl, hat nette Freunde und spürt auch die aufkeimende Liebe zu Shari, einer Delfin-Wandlerin. 

Das Subgenre der Tier-Mensch-Wandler-Literatur belässt es aber nicht nur bei dem einfachen Leben als Wandler, sie greift auf erprobte Motive der Abenteuerliteratur zurück sowie auf brachiale Kämpfe, auf Machterweiterung, auf den existentiellen Fight zwischen Gut und Böse. Die Mensch-Tier-Wesen können zwar auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten beider Wesen zurückgreifen, doch ihre Kämpfe richten sich in der Regel gegen ihresgleichen. 

Tiago und seine Freunde (dazu zählen auch die Lehrer der Blue Reef High)  müssen sich in “Wilde Wellen” gegen eine Reihe von Gegnern behaupten. Da sind die plötzlich aufgetauchten Reptilien-Wandler aus den Everglades von Florida, die letztlich eine geistige Neuausrichtung  der Schule, vielleicht sogar deren Untergang beabsichtigen. Das will auch die größte Sponsorin der Schule, die zwielichtige Anwältin Lydia Lennox, eine Python-Wandlerin, der mafiöse Methoden sehr wohl vertraut sind. Sie würde gerne die Leitung der Schule in ihrer Hand sehen, da ist ihr jede Intrige willkommen. Zu alledem bedroht auch noch ein Hurrikan, der just über die Schule wegzieht, die Lebensgemeinschaft dieser illustren Gesellschaft. 

Eine Aufgabe, der Tiago selbst mit der Unterstützung seiner Freunde kaum gewachsen ist. Doch Katja Brandis geht fürsorglich mit ihren wichtigen Protagonisten um, schließlich will sie nicht, dass die auf sechs Bände angelegte Seawalkers-Reihe schon bei Band 3 zusammenkracht. Es kommt einem genialen Schachzug gleich, dass sie in höchst bedrohlicher Lage den Puma-Wandler Carag mit Freunden aus ihrer bereits abgeschlossenen Reihe “Woodwalkers” (Landtier-Mensch-Wandler) zu Hilfe schickt. 

Die Fans der Autorin danken es ihr, wie man es der Hompage von Katja Brandis entnehmen kann. Überhaupt scheint die große Zahl ihrer Fans mit ihr, mit ihren Geschichten durch dick und dünn zu gehen. Sie leiden und hoffen mit ihren Stars. Wohl am meisten interessiert sie die persönliche Beziehung zwischen Tiago und Shari. Sie flehen die Autorin geradezu an, die aufkeimende Liebe fortzuführen.

Katja Brandis beherrscht nicht nur die Kunst, spannende Tier-Fantasie-Romane mit Niveau zu schreiben, sie versteht es auch, ihre wachsende Fangemeinde bei Laune zu halten. Weitere Romanideen sind im Gespräch, die Erwartungen an sie dürften nicht geringer werden. Es lohnt sich, diese Autorin weiterhin ins Blickfeld zu nehmen.

Für den Schutz der Umwelt – Hoffnung inclusive!

Schütze die Natur: Plastik – nein, danke!
von Ola Woldanska-Plocinska 
Verlag: Beltz & Gelberg
ISBN: 9783407755889

Die heutige Welt ist voller Umwelt-Enthusiasten, so sehen es zumindest die Verlage und    fluten zurzeit den Büchermarkt mit ökologischen Themen. Mit Zielrichtung Kinder und Jugendliche, mehr oder weniger didaktisch geschickt, auf jeden Fall aber mit pädagogischen Absichten, meist sehr direkt und gar nicht zimperlich: Tu dies! Tu das! Jenes auch noch! Falls dieses Klientel allergisch darauf reagieren sollte – ich könnte es verstehen.

Aber ja, es wäre falsch, den Öko-Bücherberg als Ganzes in die Tonne zu treten. So mancher Edelstein glänzt auch hier. “Schütze die Natur: Plastik – nein, danke!” ist so einer, auch wenn die Titel-Formulierung nicht gerade einen Fantasie-Ausbruch verrät.

Das Buch selbst aber ist eine kluge Sammlung von Fakten, erfrischend kurzweilig dargeboten, unterstützt und begleitet von einer erfrischend-witzigen Grafik.

Wie in der heutigen Zeit üblich setzt auch dieses klassische Sachbuch auf eine minimale Textmenge, dafür aber präzise ausgewählt und mit knappen Beispielen erhärtet. Einen Großteil der Information, vor allem aber der Motivation übernimmt das Bild- und Farbdesign. Damit entsteht ein munter-spannendes Buch, das nahezu ohne Gejammer über das, was schiefläuft, auskommt. Stattdessen finden sich eine Unmenge an Hinweisen auf das, was machbar und in Zukunft möglich sein könnte. Und schon werden Ideen lebendig und die kreativen Geister geweckt: Eine Alternative zu Wegwerftellern wären vielleicht die in so manchen asiatischen Ländern immer noch verwendeten Bananenblätter; interessant, welche Art Verpackung die alten Griechen für Wein, Wasser und Olivenöl erfanden oder die Gallier für Salz, Getreide, gesalzene Fische, Fett und Teer. Bambus ist ein irrer Rohstoff, brauchbar vom Hausbau bis hin zu Kleidung und Zahnbürstchen. Papier-Recycling, das machten die Japaner schon im 10. Jahrhundert. Ökologische Plastiktüten gibt es bereits, sind leider nur wahnsinnig teuer.

Tja, so geht es auch: mit Pep und Pop und Lebensbejahung den jungen Menschen entgegen!