Rosalies Unbehagen bei der abendlichen Vorlese-Zermonie

Rosalie: Als mein Vater im Krieg war
Von: Timothée de Fombelle
Verlag: Gerstenberg
ISBN: 9783836960403

Auch wenn Rosalie erst im Kindergartenalter ist, denkt sie bereits wie eine große und handelt nach einem raffiniert ausgeklügelten Plan. Ihre Mission, verwegen und geheimnisvoll, deutet sie bereits auf der ersten Seite an – und treibt damit die Spannung hoch. Die Details erschließen sich sukzessive, auf den Knalleffekt muss man bis zum Ende warten, so gehört es sich für einen guten Krimi. 

Krimi? Nun ja, die Geschichte ist zumindest mit diesem Genre verwandt, verrät sich aber schon bald als eine historisch glaubhafte Schilderung aus dem 2. Weltkrieg in Frankreich.  Rosalie, das hochbegabte Mädchen fühlt intuitives Unbehagen, wenn ihr ihre Mutter allabendlich Briefe von ihrem Vater vorliest, der im Kriegseinsatz ist. Da ist von dem Bach hinter der Mühle die Rede, in dem Forellen springen und in dem man das Schwimmen lernen kann. All das werden sie miteinander tun, wenn der Krieg vorbei ist.

Für die Mutter ist das pädagogisch verantwortungsvolles Handeln, für Rosalie der Ausgangspunkt ihrer Recherche. Denn sie hegt still und heimlich einen schrecklichen Verdacht. Hierzu muss sie aber erst Lesen lernen und noch vieles andere. 

Aber Rosalie handelt konsequent, zielgerichtet, mit militärischer Logik und Disziplin. Ihrem Ziel, das sie niemals aus den Augen verliert, ordnet sie alles unter. Und der Erfolg bleibt nicht aus: Was ursprünglich reines Empfinden war, deckt Rosalie schließlich anhand von Fakten auf: ihr Vater ist tot, ihre Mutter muss sich ab jetzt nicht mehr verstellen.       

Aufregend bis zur letzten Seite, in verständlicher, einfach-geschmeidiger Sprache geschrieben, mit berührenden Bildern unterlegt, die nebenher auch noch Einblicke in die sozial-kulturellen Gegebenheiten der Vierziger Jahre des 20. Jahrhundert ermöglichen.   

Diesem Buch würde man mit der Beschreibung “Krimi” nicht gerecht werden. Vergleichen wir es eher mit einer wunderbar-spannenden Geschichtsstunde, die es schafft, die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung, insbesondere von Kindern und ihrer Mütter vorzuführen.  Eine grandios schöne, zu Herzen gehende Geschichte. 

Drachen als Haustiere? Wäre schön, geht aber nicht!

Drachenpost
von Emma Yarlett
Thienemann Verlag
ISBN: 9783522458962

Was muss das bloß für ein Typ sein, dieser Alex: Macht nichtsahnend die Kellertür auf, steht Nase an Nase einem ausgewachsenen Drachen gegenüber und reagiert erstaunlich gelassen, eigentlich überhaupt nicht. Na gut, einen Drachen hat er schon immer gewünscht. Nun sitzt einer bei ihm im Keller, was also soll die Aufregung? 

Objektiv wichtiger ist da schon der Gedanke an die aktuelle Feuergefahr, die seinem Elternhaus droht. Alex weiß, wie locker-leicht so ein roter Riese das alles in Brand stecken kann. 

Man darf vermuten, dass Alex allein zu Haus ist, denn seine Eltern hierüber zu informieren, kommt nicht in Frage. Da schreibt er lieber gleich selbst einen Brief an die Feuerwehr und bittet sie um Rat. Mit dem Hinweis “Dringend” lässt die Antwort nicht auf sich warten. Der Wehrführer A. Larm empfiehlt eine ordentliche Dusche. 

Bei Fragen der richtigen Ernährung (Marmeladebrote kann der Drache partout nicht ausstehen) weiß S.C.Hinken, der Metzger, Bescheid. 

Ja, und dann wäre noch die Frage nach der artgerechten Haltung dieses Riesen-Viehs. Der 1. Vorsitzende des Welttierschutzvereins, Herr Leo Pard, empfiehlt, dem Drachen  viel Raum zu geben, ein Schloss-Park wäre ideal, dazu ein Drachenflug pro Tag.  

Den entscheidenden Tipp allerdings bekommt Alex von seiner Freundin, dem klügsten Menschen, den er kennt. In einem herzzerreißend-fehlerhaften Brief drängt sie ihn dazu, den Drachen “gehn zu lassen”.

Die Gags und der haarsträubende Logik-Unsinn sind unter dem Schein der Ernsthaftigkeit so nett arrangiert, dass man dies beim Lesen lächelnd erkennt und gerne in Kauf nimmt, um ja nichts von der irren Geschichte zu versäumen. Die liebevoll gestalteten “Original”-Antwort-Briefe zwingen zum Einsatz der Hände, sie müssen den beigefügten Umschlägen entnommen werden.  Als schließlich Alex seinem Drachen wehmütig die ersehnte Freiheit gibt, dürfte so mancher Leser das Buch – voll Herzschmerz – zur Seite legen, herrje, was für eine schöne Geschichte!  

Ein Drama erster Güte – Die Entstehung von Beethovens 9. Sinfonie

Beethovens 9. Sinfonie
von Rudolf Herfurtner
Annette Betz Verlag
ISBN: 9783219118049

Im Dezember 2020 wird sich der Tag von Ludwig van Beethovens Geburt zum 250. Mal jähren. Seine Musik verzaubert die Menschen weltweit. Seine berühmte 9. Sinfonie elektrisiert die Menschen geradezu, sonst hätten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Gemeinschaften nicht das Hauptthema des letzten Satzes (mit der Textpassage „Freude, schöner Götterfunken” von Friedrich Schiller) als Europa-Hymne auserkoren.

Das Medium Buch kann eine Melodie nicht wiedergeben, wohl aber die Umstände der Entstehung sowie die Motive, die ihr zugrunde liegen, beschreiben. Das aber ist schon eine ganze Menge. Die Leistung des Autors eines solchen Buches ist es, dieses immaterielle Welterbe, das eigentlich Erwachsenen zugedacht war, auf Kinderniveau herunterzuschrauben.

Und siehe da, die Geschichte um die Entstehung dieser Sinfonie enthält genug Dramatik für eine spannende Geschichte. Beethoven, der wie Schiller ein glühender Liebhaber des Freiheitsgedankens der Französischen Revolution war, wollte mit diesem Werk etwas fundamental Neues anstimmen. Auch optisch sollte das Neue zu bemerken sein, deshalb wagte er es, der Sinfonie einen Chor sowie Solisten-Sänger dazuzugeben. Um ein Haar wäre dieses großartige Werk in einem Schwarzen Loch der Geschichte verschwunden, hätte nicht Beethovens Neffe Karl mit ungeheurer Willenskraft die Erstaufführung durchgeboxt.

Der Höhepunkt an Dramatik blieb der Premiere im Kärntnertortheater in Wien vorbehalten, als Beethoven, der zu diesem Zeitpunkt bereits gänzlich taub war, am Ende umgedreht werden musste, um das stürmisch jubelnde Publikum zu sehen.

Rudolf Herfurtner, der Autor, schuf mit großer Sachkenntnis und Fingerspitzengefühl dieses Buch, das letztlich auch eine Teil-Biographie Beethovens geworden ist.  Die in sanften, zurückhaltenden Pastelltönen gehaltenen Illustrationen stellen auf optische Weise das Leben des beginnenden 19. Jahrhunderts informationsreich dar. Mit Begleit-CD.

Zum Gipfel – was sonst?

Gipfelstürmer
von Pierre Zenzius
Aladin Verlag
ISBN: 9783848901715

Horace Bénédict de Saussure war ein Genfer Naturforscher, der sich für Meteorologie, Mineralogie, Magnetismus, Elektrizität und schließlich für Glaziologie und Geologie interessierte. Weiß man das alles, so kann man auch verstehen, dass er für das Jahr 1787 zu der ersten wissenschaftliche Besteigung des Mont Blanc aufrief. Immerhin hatte man diesen Berg, der höchste Europas immerhin, gerade mal ein Jahr zuvor per Erstbesteigung bezwungen. Als heller Kopf, wie Horace Bénédict de Saussure einer war, unternahm er diese Tour, verständlicherweise kein Spaß-Spaziergang, inmitten einer Gruppe von Spezialisten, 18 an der Zahl, sowie mit seinem tapferen Hund. Niemand wird bestreiten, dass den Teilnehmern einerseits Abenteuer pur geboten war,  die Bergwelt andererseits deren Sinnen ein Hochfest beschert hat.

Pierre Zenzius hat versucht, aus diesem Material ein Kinderbuch zu erstellen. Er entschied sich nicht für einen ermüdenden, textlastigen Schmöker, sondern für eine Bild-Erzählung. Was daraus geworden ist, raubt einem den Atem: eine Überschwang an Schönheit. Er ließ der Natur ihre Größe, ihre Kraft, ihren Zauber. Der Mensch fällt im Gegensatz dazu zwangsweise eher klein, schwach, auch ein bisschen ungeschickt aus. Ja, aber auch mutig, verwegen, neugierig. Klar! Hierzu reichen ihm aber auch Strichmännchen-Figuren, die sich im Anblick der majestätischen Natur eher umständlich und tollpatschig anstellen. Zum Glück für die Kinder, die sich dieses Buch ja ansehen und herzhaft lachen sollen. Und das können sie zur Genüge. Letztlich über sich selbst als Teil der Menschheit.

Ein ehrliches Buch, das dem Lachen Demut beifügt. Damit wird die heitere Grundstimmung nicht zerstört, sie wird nur in Beziehung zu Macht und Ästhetik der Natur gesetzt.

Wir dürfen davon ausgehen, dass Horace Bénédict de Saussure sich dieser divergierender Akteure bewusst war. Er hätte Freude an diesem Expeditionsbericht gehabt.   

Das Plastik soll uns die Zukunft nicht nehmen

Für eine Umwelt ohne Plastik
von Neal Layton
Carlsen Verlag
ISBN: 9783551252999

Greta Thunberg, der cleveren Umweltschutzikone aus Schweden, sei Dank. Ihr konsequenter Einsatz für eine bessere Welt schlägt sich im Jahr 2020 sichtbar auf die Produktion von Sachbüchern nieder. Mit Masse versucht die Branche, den Planeten zu retten. Kein junger Mensch soll der Umarmung entkommen, für jede Altersstufe ist etwas dabei.

In der Regel geschieht das im pädagogisch gut gemeinten Dreierschritt: Gruselige Forschungsergebnisse – kindlich witzige Darstellung – Aufforderung zum Selbsttun. 

Am Ende mangelt es dem versuchten Gesamtkunstwerk freilich bisweilen an Leichtigkeit und psychologisch richtig getaktetem Feingefühl. Werden den Kindern die knallharten Fakten mit übertriebener Inbrunst und übergroßer Dichte an den Kopf geworfen, reagieren diese möglicherweise mit Schnappatmung und Übelkeit – und legen das Buch schnell wieder zur Seite. 

Zum Glück finden sich aber auch Bücher, die das besser machen: Neal Layton’s “Für eine Umwelt ohne Plastik” zum Beispiel, der die die 8-10 Jährigen anspricht. Dieser Autor und Illustrator nimmt die Kinder mit Entspanntheit und wohltuender Bedächtigkeit an die Hand, lässt sie mit wenig Text und vielen Bildern, Wimmelbildszenarios gleich, herausfinden, was Plastik eigentlich ist, wo es herkommt, was in unserer Umwelt alles bereits aus Plastik ist. Mit dem Gespür eines begnadeten Lehrers lenkt er die Gedanken sodann auf das Zuviel an Plastik und das Problem mit der biologischen Abbaubarkeit. Alles endet schließlich im Meer, deren Weite beeindruckend schrumpft, wenn Müllstrudel die klare Wasserfläche verkleinern, der mächtigste davon in der Größe von 4 mal Deutschland. 

Neal Layton, der Lehrer mit Herz, lässt die Kinder am Ende klugerweise nicht im dystopischen Chaos stehen. Neben ein paar unvermeidlich praktischen Tipps im Alltag öffnet er ihnen die Augen für die Ideenwelt unserer Wissenschaftler und Ingenieure, die an diesen Problemen bereits erfolgversprechend arbeiten. Noch Zukunft? Aber ja, es gibt sie.

Die Buchbesprechung erschien in der Passauer Neuen Presse vom 18. Mai 2020.