Menschen ans Licht zu holen, denen das Leben übel mitspielt, darf durchaus zu den Leistungen der Literatur gezählt werden. Viele berührende Schicksale von Einzelpersonen finden sich in Epik, Lyrik und Dramatik. Psychische Befindlichkeiten wie Mitleid und Verstörung, Verzauberung oder Bestürzung lassen sich in diesem Medium wohl besonders gut darstellen.
Eigentlich war Mason Buttle ein liebenswerter, sympathischer Schüler. Sein Pech war nur, dass er für viele seiner Mitschüler auch mit solchen Markierungspunkten ausgestattet war, die ihn zum perfekten Outcast machten. Seine außergewöhnliche Körpergröße, seine Schwerfälligkeit beim Lesen und Schreiben sowie sein übermäßiges Schwitzen luden die bösen Geister geradezu ein, ihn auf Übelste zu hänseln und zu demütigen. Dass er sich nicht zur Wehr setzte und von Eltern- oder Lehrerseite mit keinerlei Hilfe rechnen konnte, veranlassten seine wenig einfühlsamen Mitschüler zu permanenten Attacken.
Zum Glück hatte Mason einen Freund: Calvin, Mobbing-Zielscheibe wie er. Klein, schlank und schlau, irgendwie passte er zu Mason. Mit Feuereifer bauten sie an ihrem Projekt, einem Geheimversteck oder einer unterirdische Ruhezone, in der sie vor Matt und Lance geschützt waren.
Tatsächlich ging ihr Wunsch für kurze Zeit in Erfüllung. Die Höhle bot ihnen Raum zur Entfaltung, zur Umsetzung ihrer Ideen, auch zu gegenseitigem Lob, was vor allem Mason innerlich aufblühen ließ.
Plötzlich jedoch war Calvin verschwunden. Das bedeutete Unheil, nicht für Matt und Lance, sondern für Mason. Denn der Tod von Benny, einem früheren Freund von Mason, war nicht abgeschlossen, hier tippte Lieutenant Baird noch im Dunkeln. Doch dank seiner Charakterstärke und einem Quäntchen Glück schaffte er es, der Wahrheit zum Sieg zu verhelfen und seinen größten Drangsalierer auszuschalten.
Leslie Connor, die Autorin, schuf mit Mason einen starken, überzeugenden Charakter. Sein Denken und Handeln nimmt den Leser gefangen, doch seine Duldsamkeit Aggressionen gegenüber nervt im selben Maße. Stoff für Diskussionen ohne Ende. “Die ganze Wahrheit” kommt nur tröpfchenweise ans Licht, die Spannungskurve zieht sich, geballt tritt sie erst im letzten Drittel auf. Das erfordert wahrlich einen zur Empathie fähigen Leser. Mason hat nicht nur das heftige Mobbing zu ertragen, auch sein familiäres Umfeld könnte weiß Gott besser sein. Ohne in eine liebende Familie eingebettet zu sein, muss er als Fast-Waise sein Leben meistern. Eigentlich zu viel der Tragik für einen 13-Jährigen. Die Autorin schreibt fesselnd und gut verständlich. Der psychisch und moralisch starke Mason wächst einem ans Herz, sein Schicksal berührt zutiefst.
Lesealter: 14 Jahre und älter
Daumen: 5